Stellungnahme der Klimagruppen zum Podcast 68 Grad des Mannheimer Morgen

Skepsis wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung

Der Mannheimer Morgen veröffentlich seit einigen Wochen unter dem Titel 68 Grad im Zwei-Wochen-Rhythmus Folgen eines Podcast zu Auswirkungen der Klimaerwärmung in Mannheim und zur städtischen Klimaschutzpolitik, in denen Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft zu Wort kommen. An sich ist das positiv, speziell auch deshalb, weil dieses Thema in der herrschenden Politik und in der Medienberichterstattung ansonsten trotz zunehmender objektiver Dringlichkeit leider stark an Priorität eingebüßt hat.

Einen besonderen inhaltlichen Schwerpunkt bildet in dem Podcast die Beteiligung der Stadt am EU-Programm 100 Climate Neutral Cities und das dabei verfolgte Ziel, bis 2030 auf örtlicher Ebene Klimaneutralität zur erreichen. Zu diesem Thema wurden in zwei Folgen Vertreter*innen der Stadt, des IFEU-Instituts und der in Mannheim aktiven Umwelt und Klimagerechtigkeitsinitiativen interviewt. Von Seiten der Stadt wurde erklärt, man sei auf einem guten Weg, das selbstgesetzte Ziel zu erreichen, die CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 80% (nicht etwa 100%!) zur reduzieren. Die Klimagruppen haben das bestritten. Speziell in den Sektoren Wärme und Verkehr wären deutlich weitgehendere Schritte nötig. Wichtiger als das Datum einer Klimaneutralität sei außerdem die Einhaltung des auf Mannheim rechnerisch entfallenden Teils des für die Einhaltung der Pariser Klimaziele noch verbleibenden CO2-Emissionsbudgets.

Wir, die Mannheimer Klimagruppen, waren in den Interviews vertreten. Nachdem zu den Podcast-Folgen zum Klimaneutralitätsziel am 02.08. noch ein Artikel im Mannheim Morgen erschienen ist, halten wir es für nötig, zu dem Thema nochmals aus unserer Sicht Stellung zu nehmen. Das liegt nicht daran, dass unsere Aussagen im Podcast falsch oder unvollständig wiedergegeben worden wären, sondern an der Botschaft, die der MM im Podcast und in dem genannten Artikel u. a. auch aus unseren Beiträgen gemacht hat. Die verantwortlichen Redakteur*innen haben in ihren Kommentierungen von Anfang an kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie Zweifel an der Realisierbarkeit und der Sinnhaftigkeit des 2030er-Klimaneutralitätsziels der Stadt haben. Unsere kritischen Stellungnahmen zum Stand der Klimaschutzaktivitäten interpretieren sie offenbar auch als generelle „Skepsis“ gegenüber der Erreichbarkeit des Klimaneutralitätsziels. Im besten Fall wäre das ein Missverständnis, im schlechteren eine missbräuchliche Umdeutung unserer Aussagen.

Wenn man das globale 1,5-Grad-Klimaziel einhalten will, kann man sich die lokalen Klimaziele nicht aussuchen. Die wissenschaftliche Tatsache, dass die Menge der CO2-Emissionen direkt proportional zur Erderwärmung ist, lässt eigentlich nur die Einhaltung klar begrenzter Emissionsbudgets zu, um die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen. Mannheim darf bis zum Erreichen der tatsächlichen Klimaneutralität nur noch den rechnerisch auf die Zahl seiner Einwohner*innen entfallenden Anteil des globalen CO2-Budgets emittieren. Nach aktuellen Berechnungen wären das ab Anfang 2023 noch 10 Millionen Tonnen. Jede Tonne CO2, um die Mannheim dieses Budget überschreitet, müsste woanders auf der Erde zusätzlich eingespart werden. Mit der dahinterstehenden Physik kann man nicht verhandeln.

Das Mannheimer Klimaneutralitätsziel nennt, wie alle anderen wohlgemeinten politischen Ziele, eine irgendwie definierte Klimaneutralität zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erreichen, nur das Datum, an dem die Emissions-Minderung eingetreten sein soll. Ohne die exakte Bestimmung eines Emissionspfades (wieviel weniger in welchem Zeitraum) können solche Klimaneutralitätsziele theoretisch auch bis kurz vor Zielerreichung ohne Einsparungen auskommen, um dann mit Last-Minute-Reduzierungen doch noch durch die Tür zu kommen. Dabei bleibt außer Acht, dass in der Zwischenzeit die noch verfügbaren Emissionsbudgets mehrfach verbraucht sein können. Erwartungen an die Umsetzung in letzter Minute sind nicht realistisch. Im Gegenteil: Viele weit in der Zukunft liegende Klimaneutralitätsziele (Schifffahrt und Luftverkehr 2050, China 2060, USA 2050, EU 2050) wollen den Eindruck entschlossenen Handelns erwecken, während die praktische Umsetzung einem weitgehenden „weiter-so“ verpflichtet scheint (kein Land erreicht derzeit seine Klimaziele). Die Beliebigkeit der Klimaziele befördert eine Beliebigkeit in der Umsetzung. Wenn man meint, noch Zeit zu haben, ist es auch leichter, zu sagen, man sei auf einem guten Weg.

Selbst wenn das CO2, das Mannheim pro Jahr emittiert, wie geplant von 2023 bis 2030 linear (d.h. ohne Last-Minute-Effekte) um 2 Millionen Tonnen reduziert würde, lägen die kumulierten Emissionen in diesem Zeitraum zwischen 10,5 und 12 Millionen Tonnen, d.h. über dem Budget. Insofern gibt es auch bei dem 2030er-Ziel auf keinen Fall Spielraum für weitere Aufweichungen.

Die aktuellen Emissionen sind kein Naturgesetz. Physikalisch ist es auf jeden Fall möglich, sie im Rahmen des Budgets herunterzufahren. Behindert wird das durch vielfältige historisch gewachsene Abhängigkeiten von fossiler Energie, wirtschaftliche Interessen, unzureichende Finanzmittel und die Verflechtung mit dem noch länger „fossilen“ Umland.

Dass es trotz dieser Hindernisse politisch möglich ist, das Budget oder zumindest das Mannheimer 2030er-Ziel einzuhalten, wird man momentan weder beweisen noch widerlegen können. Dazu ist die Planung in vielen Bereichen noch zu unkonkret, und die politischen Entscheidungen sind zu unberechenbar. Die Erreichbarkeit hängt von der Veränderungsbereitschaft und dem Willen und Zusammenwirken aller Akteure auf lokaler, Landes-, Bundes- und EU-Ebene ab und auch davon, wieviel Druck aus dem klimabewussten Teil der Öffentlichkeit kommt.

Was bislang in dieser Richtung praktisch passiert, reicht nicht, und es gibt Gründe für die Annahme, dass Mannheim in diesem Tempo weder sein Budget einhalten noch bis 2030 im oben genannten Sinne „klimaneutral“ wird. Das heißt aber nicht, dass das objektiv nicht gehen würde.

Wenn der MM tatsächlich um den Klimaschutz besorgt ist, könnte er mehr erreichen, wenn er eine Konkretisierung der Planung für die notwendige Transformation und eine Beschleunigung der Umsetzung anmahnen würde, anstatt darüber zu spekulieren, ob das Ziel vielleicht zu ambitioniert und gar nicht erreichbar ist. Letzteres wird bestimmt nichts beschleunigen und am Ende die Skepsis eher zur selbsterfüllenden Prophezeiung machen.

Der MM nennt auch nicht etwa eine alternative Strategie mit längerem Zeithorizont, sondern empfiehlt nur, statt definierten Emissionsreduzierungszielen einfach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ zu folgen. Vielleicht würde das den Klimaschutz für einige Verantwortliche stressfreier machen. Dem Pariser Klima-Ziel würde es aber bestimmt nicht Rechnung tragen, und wenn alle dem folgen würden, wäre der Stress mit den Folgen der Klimakatastrophe nachher umso größer.

Mannheim kohlefrei

Parents & People for Future Mannheim

Fridays for Future Mannheim

Fuss e.V. Mannheim

Mannheim zero

Letzte Generation Rhein-Neckar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial