Mehr Wunschvorstellung als Realität
Seit Anfang 2024 gibt es in dem Web-basierten Software-Tool Climate View öffentlich zugängliche Daten zur Umsetzung des Klimaschutzaktionsplans (KSAP) der Stadt Mannheim. Damit sollen die Fortschritte bei der Umsetzung des Plans nachverfolgbar gemacht werden.
Gegenüber dem KSAP gab es von Anfang an eine gewisse Skepsis, und mit der Zeit erscheint es immer unwahrscheinlicher, dass mit den bisher umgesetzten und den geplanten Maßnahmen bis 2030 die „Klimaneutralität“ (nach Definition der Stadt eine 80%ige Emissionsreduzierung) erreicht wird. Vertreter*innen der Stadt erklären demgegenüber nach wie vor, man sei bei der Umsetzung auf einem guten Weg, verweisen auf zahlreiche angestoßene Maßnahmen und auch immer wieder auf Climate View, wo der Status sichtbar sein soll.
Bei näherer Betrachtung des Tools ist allerdings die Aussagekraft der darin enthaltenen Informationen sehr begrenzt. Da die Daten großenteils aus dem KSAP übernommen wurden, hat Climate View auch die gleichen Schwachpunkte wie der KSAP.
Die Beschreibung der Maßnahmen ist trotz zusätzlicher Texte meist nicht konkreter als die der entsprechenden Aktivitäten im KSAP. 151 der 320 Maßnahmen haben aktuell den Status „in Umsetzung“ ohne das dabei klar wird, an was der Umsetzungsstand gemessen wird und welchen Effekt sie bisher haben.
Die Berechnung der Emissionsminderungspotenziale wird nicht erläutert und ist genauso wenig nachvollziehbar wie die der entsprechenden Angaben im KSAP. Das gilt sowohl für die Potenziale, die direkt aus dem KSAP übernommen wurden, als auch für die, die bei der Übertragung angepasst wurden.
Als Ausgangsbasis gelten die Ist-Emissionen von 2020 (2,55 Mio Tonnen), die infolge der Corona-Pandemie deutlich niedriger waren als die der Vorjahre und auch der Folgejahre. Die Emissionsminderungspotenziale, die als Absolutzahlen davon abgezogen werden, wurden während der Entstehung des KSAP auf Basis der Ist-Daten von 2018 berechnet. Damals lagen die Emissionen noch bei 3,1 Mio. Tonnen. Offenbar wird unterstellt, dass diese Potenziale unabhängig von der Emissionsbasis sind, was sehr unwahrscheinlich ist, egal ob die Potenzialzahlen an sich plausibel sind oder nicht.
Durch die lineare Interpolation der Emissionsminderungskurven entsteht der Eindruck, dass die Potenziale sich in mehr oder weniger konstanten Prozentsätzen pro Jahr quasi automatisch einstellen. In der Realität wird der Verlauf der Kurven vom Wirksamwerden der Umsetzungsschritte bestimmt.
Der nach 2020 eingetretene Wiederanstieg der Emissionen (auf 2,8 Mio. Tonnen 2022) ist zwar in einem Übersichtsdiagramm am Anfang dargestellt, in den Emissionsminderungskurven wird er allerdings nicht berücksichtigt. Laut Climate View hätten im Jahr 2022 die Emissionen bei 2,2 Mio Tonnen liegen müssen statt bei den realen 2,8 Mio Tonnen.
Aus den zusätzlich dargestellten Indikatoren (GWh erneuerbarer Strom, Pkw pro 1000 Einwohner*innen etc.) könnte man mehr oder weniger direkte Rückschlüsse auf Emissionsminderungen ziehen. Bei mehreren dieser Indikatoren gibt es erhebliche Abweichungen der Ist-Werte von den Soll-Werten (siehe Extra-Artikel dazu). Merkwürdigerweise haben diese Zielverfehlungen trotz der angenommenen Abhängigkeiten keinen Einfluss auf den dargestellten Verlauf der Emissionsminderungen. Es gibt auch keine Hinweise auf zusätzliche Maßnahmen zur Nachsteuerung, die bei so deutlichen Abweichungen von der Planung eigentlich notwendig wären, um den Rückstand aufzuholen.
Bei der von Anfang an ausgewiesenen „Zielerreichungslücke“ von 27% (Differenz zwischen der bis 2030 angestrebten Emissionsminderung und der Summe der angenommenen Minderungspotenziale) bleibt unklar, wie die geschlossen werden soll. Nach den Erläuterungen dazu soll es sich um Emissionen handeln, die auf kommunaler Ebene nicht beeinflusst werden können. Es gibt aber keine Hinweise, welche Art von Emissionen da gemeint ist, und welche rechtlichen oder sonstigen Voraussetzungen auf anderen politischen Ebenen geschaffen werden müssten, um sie zu vermindern.
Dazu kommen noch andere Ungereimtheiten. In der Rechnung von Climate View werden die großenteils aus dem KSAP übernommenen Emissionsminderungspotenziale einfach addiert, wovor im KSAP ausdrücklich gewarnt wird, weil die Zahlen nicht unabhängig voneinander sind. Und obwohl die als Ausgangsbasis dienenden Ist-Zahlen nach dem BISKO-Standard berechnet wurden, wird bei den Emissionsminderungen auch die Netzstromverdrängung durch lokal erzeugten erneuerbaren Strom mitgerechnet.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Emissionskurven in Climate View eher die Wunschvorstellung der Verantwortlichen als die real erzielten Emissionsminderungen widerspiegeln. Zumindest bei der aktuellen Handhabung in Mannheim handelt es sich um ein statisches Modell auf wackliger Datenbasis, das einen kontinuierlichen Rückgang der Emissionen von 2020 bis 2030 unterstellt und Soll-Ist-Abweichungen bei den Emissionen nicht abbildet. Wenn man sich ein Bild vom Stand der Umsetzung des KSAP machen will, helfen einem die Emissionskurven in Climate View nicht weiter. Soll-Ist-Vergleiche gibt es nur bei den zusätzlichen Indikatoren, und da bestätigt sich eigentlich nur der Eindruck, dass die Umsetzung des KSAP massiv im Rückstand ist.